Synagoge in Roth, Lahn
Errichtung, Zerstörung und jetziger Zustand
von Annegret Wenz-Haubfleisch
Die älteste Nachricht über eine Synagoge in Roth stammt aus dem 1773 angelegten ersten Kataster. Danach besaß der Jude Levi ein Haus, an das die Judenschule gebaut war. Ein Blick auf die zugehörige Katasterkarte, die bereits 1766/69 aufgenommen wurde, zeigt an der bezeichneten Stelle ein langgestrecktes, zusammenhängendes Gebäude. Die Kultstätte befand sich also in Privatbesitz.
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Im Herbst 1832 fielen Wohnhaus und Synagoge einem Brand zum Opfer. Der EigentümerHerz Stern kaufte sich anschließend an anderer Stelle im Dorf ein ansehnliches Gehöft und überließ das Grundstück der israelitischen Gemeinde zum Bau einer neuen Synagoge. Im November 1833 lag die Bauzeichnung vor, die Zimmerarbeiten waren vergeben und das nötige Geld aufgenommen. Wann die Bauphase abgeschlossen war, ist unbekannt. Da vom Herbst 1838 ein Streit über die Verteilung der Bestände in der Synagoge überliefert ist, muss sie zu diesem Zeitpunkt fertiggestellt gewesen sein. Es ist aber kaum anzunehmen, dass der kleine und sicher einfach aufzurichtende Bau fünf Jahre in Anspruch genommen hat. Dieses Gebäude steht noch heute.
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Die Synagoge weist einen nahezu quadratischen Grundriss auf. Sie wurde in Fachwerkkonstruktion auf einem Sandsteinsockel errichtet und mit einem Walmdach versehen. Süd- und Westseite waren mit Schiefer geschindelt, die Nord- und Ostseite hingegen verputzt.
Bildnachweise auf den Zoom-Bildern und Foto rechts: Julian Kiesche
Die Wandflächen auf der Nord-, Süd- und Ostseite sind durch hohe Rundbogenfenster gegliedert. Der Stil des schlichten, klar strukturierten Baus ist somit klassizistisch. Ihren Zugang erhielt die Synagoge von der Westseite, wobei die Frauen über eine steile Außentreppe zu der von zwei Säulen getragenen Empore gelangten. An der Ostwand befand sich der Thoraschrein (Almemor).
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Die um einen Mittelgang angeordneten Bänke waren nach Osten ausgerichtet, in der Mitte vor dem Thoraschrein stand das Vorlesepult (Bima). Überwölbt ist die Synagoge von einem Muldengewölbe mit goldenen Sternen auf blauem Anstrich, wovon nur noch Reste erhalten sind. Zwei Kronleuchter hingen von ihm herab, einige weitere Lampen waren an den Wänden angebracht. Die heutigen Davidstern-Leuchter sind nicht original.
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Die Wände tragen eine braunrote Farbfassung mit bogenartigen Verzierungen und auf der Nord- und der Südseite jeweils eine hebräische Inschrift. Bögen und Inschriften waren in Goldbronze ausgeführt, die mittlerweile zu Schwarz oxidiert ist. Die Inschrift auf der Nordseite bedeutet: „Herr, ich habe lieb die Stätte Deines Hauses und den Ort, wo Deine Ehre wohnt“ (Psalm 26.8).
Die Inschrift auf der Südseite lautet: „Liebe Deinen Nächsten, denn er ist wie Du“ (3. Mose 19.18). Eine vor allem im Bereich des Thoraschreins noch sichtbare Vorgängerfarbfassung war hellblau und besaß einen floralen Fries.
Der vorhandene Anstrich wird dem Stil des Art déco zugerechnet und auf die zwanziger Jahre des 20. Jhs. datiert, die ältere Fassung ist dem Jugendstil zuzuordnen und muss Ende des 19. oder beginnenden 20. Jhs. aufgebracht worden sein. Vom Anstrich aus der Erbauungszeit sind keine Reste erhalten.
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Hessen bildete gleichsam den Testfall für die im gesamten Deutschen Reich in der Nacht des 9./10. Novembers 1938 inszenierten Pogrome. Die Pogrome wurden nämlich bereits am Tag des Attentats Herschel Grynszpans an Legationsrat vom Rath in Paris, das als Begründung für den angeblichen „Ausbruch des Volkszorns“ herhalten musste, am 7. November an einigen Orten in Nordhessen ausgelöst und in den nächsten drei Tagen fortgesetzt. Roth gehörte wie andere Orte im Kreis Marburg zu den frühen Tatorten. Die Synagoge wurde am Abend des 8. Novembers 1938 von SA-Leuten aus verschiedenen Orten, darunter auch Rother, zerstört. Wegen der eng angrenzenden Gehöfte unterblieb eine Brandstiftung, jedoch die gesamte Inneneinrichtung fiel der Zerstörungswut zum Opfer. Sogar die die Frauenempore tragende Säule wurde mit Äxten traktiert und aus ihrer Stellung gerissen.
Am 9. Februar 1939 musste die jüdische Gemeinde die Synagoge mit Mikwe und Grundstück an zwei Anwohner verkaufen. Die Mikwe wurde um 1957 abgerissen, die Synagoge zuletzt als Getreidespeicher genutzt.
1990 erwarb die Gemeinde Weimar Gebäude und Grundstück mit finanzieller Hilfe des Landkreises Marburg-Biedenkopf, im Mai 1995 entschloss sich der Kreis zur Übernahme für den symbolischen Preis von 1.- DM.
2023 hat der Arbeitskreis mit finanzieller Unterstützung des hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst eine virtuelle Rekonstruktion der Synagoge erstellen können.
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Restaurierung
von Annegret Wenz-Haubfleisch
Die Synagoge von außen, 1989; Foto: Planungsbüro Bier und Metzker |
Überlegungen, die Synagoge zu restaurieren, bestanden seit den 1980erJahren. Ende 1988 gab die Gemeinde Weimar zunächst ein Baugutachten in Auftrag. Es bestand aus einer Beschreibungen des baulichen Zustandes sowie der Schäden, einer umfangreichen Schadensdokumentation in Form von Fotos und Plänen sowie einem Kostenvoranschlag. Im Sommer 1990 erwarb die Gemeinde das Gebäude von dem Eigentümer. Erst zu Beginn des Jahres 1993 wurde mit der Außensanierung begonnen, die zwei Jahre beanspruchte. Hierbei wurden das statische Gefüge gesichert, das Dach neu eingedeckt, Fenster, Türen sowie die Schieferfassade und der Putz erneuert.
Für einige Jahre ruhte dann die Sanierung. Erst nachdem der Kreis Marburg-Biedenkopf die Synagoge 1995 übernommen hatte, wurde 1997 die Innensanierung in Angriff genommen und abgeschlossen. Dabei wurde ein besonderes restauratorisches Konzept verfolgt. Der frühere Zustand sollte nicht rekonstruiert, vielmehr der bestehende konserviert werden. So wurden lediglich massive Schäden wie der Mäusefraß im unteren Wandbereich repariert und der Anstrich fixiert.
Retuschen erfolgten nur im Bereich der Inschriften, damit diese besser lesbar würden. Der in Fetzen herunter hängende Sternenhimmel wurde größtenteils abgetragen und nur dort fixiert, wo dies leicht möglich war, sicherlich der größte Verlust für den anmutigen Raumeindruck und der langen Verzögerung von fast zehn Jahren seit dem Gutachten geschuldet.
Mit einem neuen Geländer wurde die Frauenempore gesichert und begehbar gemacht. Zwei aus einer christlichen Kirche gerettete Davidstern-Leuchter wurden ergänzt. Dieses von dem verantwortlichen Denkmalpfleger Dr. Michael Neumann entwickelte Konzept sah vor, „ein Dokument des Augenblicks“ zu schaffen. Der Moment der Zerstörung sollte gleichsam eingefroren werden. Dr. Neumann sprach auch von der Notwendigkeit einer Schaffung von „Denkräumen“. Und in der Tat, wer die Synagoge betritt, erkennt die gewaltsamen Verletzungen, und zugleich umfängt ihn eine schlichte Schönheit. Dieses Verstörende des Raums regt besonders zur Auseinandersetzung an.
Am 10. März 1998 wurde die Synagoge in einem feierlichen Akt unter Teilnahme von zahlreichen Überlebenden und deren Kindern und Enkelkindern aus den USA eröffnet.
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Quelle: Bildarchiv Foto Marburg, Nr. 414.895 www.fotomarburg.de
Mikwe - rituelles Tauchbad
von Annegret Wenz-Haubfleisch
Das Wasser, das der rituellen Reinigung dient, muss „lebendiges“ Wasser sein, also Wasser natürlichen Ursprungs wie Grundwasser, Quellwasser (fließendes Wasser) oder Regenwasser. Es wird unter bestimmten Regeln und Verfahren dem rituellen Tauchbad zugeführt.
Der Besuch der Mikwe wird nach traditionellen Regeln Männern und Frauen empfohlen bzw. vorgeschrieben zur rituellen Reinigung, im jiddischen Sprachgebrauch, um koscher zu werden. Im orthodoxen Judentum wird Männern das Tauchbad vor dem Sabbat oder dem Versöhnungstag Jom Kippur empfohlen. Frauen sollen die Mikwe nach der Menstruation, am Vorabend ihrer Hochzeit und nach der Geburt eines Kindes besuchen. Auch wenn Juden mit einem Toten in Kontakt gekommen sind, sollen sie ein Tauchbad nehmen, da mit dem Tod Unreinheit verbunden ist. Gleichermaßen wird eine rituelle Reinigung („Kaschern“) von neuem Haushaltsgeschirr und Porzellan empfohlen.
Anders als die Synagoge ist eine Mikwe in Roth erst spät belegt, nämlich im Jahr 1910. Das Gebäude dürfte allerdings deutlich älter gewesen sein, denn 1916 wurde die Mikwe bereits durch einen Neubau ersetzt.
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Nach Zeugenaussagen befanden sich in dem kleinen Gebäude eine Pumpe, ein Kessel und eine Badewanne, also die typische Ausstattung zur Vorreinigung, die man vollzog, bevor man über einige Stufen hinab in die aus Grundwasser gespeiste Mikwe eintauchte und die eigentliche rituelle Reinigung vollzog.
Im Sommer 1996 wurde in einem Schülerprojekt der Gesamtschule Niederwalgern, das von Mitarbeitern des Landesamtes für Denkmalpflege in Marburg fachlich betreut wurde, ein Teil der Grundmauern und Stufen zum Tauchbecken freigelegt.
Aus statischen Gründen grub man jedoch nicht bis zum Grundwasserspiegel. Die Arbeiten wurden dokumentiert und die Grabung wieder zugeschüttet.
Im Jahre 2004 schufen Schüler/innen der Gesamtschule Niederwalgern unter Leitung von Gabriele C. Schmitt ein Mosaik für den Hof der Synagoge, dem Standort der Mikwe.